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Der Traum vom Zwei-Stunden-Marathon

Der Traum vom Zwei-Stunden-Marathon

Von Heiner Boberski

Ein neues Buch sucht nach den Grenzen auf der längsten olympischen Lauf-Distanz.

Eine Stunde, 57 Minuten, 58 Sekunden. In dieser Zeit könnte ein Mensch unter idealen Bedingungen einen Marathonlauf absolvieren. Das hat der amerikanische Mediziner Mike Joyner 1991 in einem Aufsatz im „Journal of Applied Physiology“ geschrieben. Seiner Berechnung lagen umfangreiche Studien über die bestmöglichen Werte hinsichtlich Laktatschwelle, Laufökonomie und maximaler Sauerstoffaufnahme eines Menschen zugrunde.
Überschätzt Joyner damit die menschliche Leistungsfähigkeit? Oder unterschätzt er sie vielleicht sogar wie im Jahr 1906 der Harvard-Wissenschafter Arthur Kennelly, der damals prognostizierte, eine Meile könnte bestenfalls in 3:58,7 bewältigt werden. Als 1954 der Brite Roger Bannister über diese exakt 1609,344 m lange Distanz unter vier Minuten blieb, sprach man von der „Traummeile“. Seit 1999 steht der Meilen-Weltrekord des Marokkaners Hicham El Guerrouj bei 3:43,13.
Der in London lebende, 1981 geborene Journalist Ed Caesar nimmt in seinem neuen Buch „Zwei Stunden – Vom Traum, den Marathon zu laufen“ die Ambitionen der Marathonelite ins Visier, eine Schallmauer zu durchbrechen, die in den letzten Jahrzehnten immer näher gerückt ist. Der Weltrekord des Kenianers Dennis Kimetto, aufgestellt beim Berlin-Marathon 2014, liegt mit 2:02:57 keine drei Minuten über der Traummarke und knapp fünf Minuten über Joyners Prognose. 15 Jahre früher, 1999, ist Khalid Khannouchi aus Marokko erstmals unter 2:06 Stunden geblieben. Hält die Entwicklung an, könnten die Forscher David Martin und Holly Ortlund mit ihrer Berechnung Recht haben, dass zwischen 2029 und 2032 der erste Marathon unter zwei Stunden gelaufen wird.
Caesars Buch unternimmt einen Streifzug durch die Geschichte des Marathonlaufs im allgemeinen und der großen Stadtmarathons (wie New York, London, Berlin) im besonderen. Er widmet sich ausführlich der Dominanz der Kenianer, insbesondere jener vom Stamm der Kalenjins, und der Äthiopier, vor allem jener von der Gruppe der Oromo, auf dieser Strecke. Auffallend ist, dass sich im Marathon Hochlandbewohner, deren Vorfahren vor ein paar Generationen noch im Flachland gelebt haben, von Natur aus viel leichter tun als andere. Auch die Ureinwohner im Südwesten der USA seien, wie der Mike Joyner sagt, eine bisher kaum angezapfte Quelle von Lauftalenten. Für Joyner war zum Beispiel Al Waquie vom Stamm der Walatowa Jemez Pueblo, der um 1980 amerikanische Spitzenläufer auf Bergstrecken locker besiegte, „der beste Läufer, von dem du nie gehört hast“.
Sehr gründlich analysiert Ed Caesar das kenianische Laufwunder und seine wichtigsten Vertreter – Kenianer haben den Großteil der großen Marathons der letzten Jahre gewonnen. Dabei spricht er auch das heikle Thema Doping an, das leider auch bei den Naturtalenten in Ostafrika vorkommt.
Besondere Sympathien bringt Ed Caesar offenbar Geoffrey Mutai entgegen, der im April 2011 den Boston-Marathon in 2:03:02 Stunden gewann. Das wäre damals ein überragender Weltrekord gewesen, doch der Bostoner Kurs entspricht nicht den internationalen Kriterien. Mit Siegen in Berlin und auf der schwierigen Strecke von New York, wo er mit 2:05:06 seit 2011 einen überragenden Streckenrekord hält, zählt Mutai ohne Zweifel zu den überragenden Marathonläufern der letzten Jahre. Das Knacken der Zwei-Stunden-Marke, das Ed Caesar in seinem Buch immer wieder anspricht, wird aber sicher erst einer späteren Marathon-Generation gelingen.

Buchtipp:
Ed Caesar: Zwei Stunden – Vom Traum, den Marathon zu laufen. Benevento Verlag, 256 Seiten, 19,95 Euro. ISBN: 978-3-7109-0001-3

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